
Nach einem unserer ersten Gespräche war Matthias sichtlich genervt von mir. Bevor wir angefangen haben, zusammen an Grenzgamer zu arbeiten, waren wir Kollegen im Büro von spieletipps.de. Bei einer der ersten Redaktionskonferenzen, an denen ich teilgenommen habe, stellte Matthias ein Thema vor, über das er gern schreiben wollte. Es sollte um „Gamer“ gehen. Und darum, dass sie problematisch seien. Ich erhob Einspruch – damit schließe man ja jeden einzelnen Gamer ein und verurteile pauschal. Das könne man doch nicht so sagen.
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Ich erinnere mich nicht, wie diese Situation ausging. Vermutlich hat mich Matthias flapsig abgewatscht, unser ehemaliger Chefredakteur Markus hat die Stimme erhoben und um Ruhe gebeten. Matthias hat seinen Artikel geschrieben und auf der Facebook-Seite von spieletipps haben wütende Leser uns attestiert, wir seien die BILD des Spielejournalismus und gefordert, wir sollten uns doch bitte neue Jobs suchen (wir haben beide dort aufgehört, gern geschehen) oder uns gleich ganz löschen.
„Diese scheiß Gamer!“
Etwa drei Jahre später lese ich, wie Profile in den sozialen Medien davon schreiben, dass der bekannte Twitch-Streamer MontanaBlack nicht sexistisch sei, nur weil er Frauen auf der Straße mit Grunzlauten und vermutlich einer traurigen Halblatte hinterhergelaufen ist. Profile, die Gamern zuzuordnen sind. Ich denke mir „Diese scheiß Gamer!“ (würde ich natürlich nie so sagen); und es ist nicht das erste Mal, dass mich dieser Gedanke in den letzten Jahren blitzartig überkommen hat, der mir in meinen Mittzwanzigern noch völlig abwegig erschienen wäre.
Es gibt vieles, was Gamer machen, das nicht so toll ist: Frauen hassen, zum Beispiel. Und generell Mobbing. Rassismus, Geschichtsrevisionismus, Transphobie. „Diese scheiß Gamer. Diese reaktionären Idioten.“, sage ich einmal in Rage zu einer Freundin (na gut, ich würde doch). Und sie widerspricht: Aber nicht alle Gamer seien so. Das könne man doch nicht so sagen. Ich habe ein Déjà-vu und gerate mir selbst gegenüber für einen kurzen Moment in Erklärungsnot.
Es sind ja nicht alle
Es stimmt. Das kann man nicht so sagen. Denn nicht alle Menschen, die Videospiele spielen, hassen Frauen. Und als fremd Gelesene. Und trans Personen und …
Es sind ja auch nicht ALLE Männer Müll und nicht ALLE Polizisten Bastarde, oder? Hat man solche Aussagen schon einmal in der digitalen Öffentlichkeit getätigt, ist man recht wahrscheinlich Protest begegnet. Die Schlussfolgerung, mit „alle“ seien in diesen beiden prominenten Fällen wirklich ausnahmslos alle gemeint, sei gar nicht das erklärte Ziel der Verwendung solcher radikalen Verallgemeinerungen. Es gehe, so hört und liest man es, bei Parolen und Hashtags um mehr als die wörtliche Aussage. Mir auch, wenn ich von „scheiß Gamern“ rede?
Menschen, die solche vermeintlichen Pauschalurteile verbreiten, nutzen Aufmerksamkeitsmechanismen. Sie wollen strukturelle Probleme aufzeigen. Oftmals sind es Menschen, die selbst unter den Strukturen leiden, weil sie von ihnen benachteiligt werden. Weil die Profiteure der Strukturen es bequemer haben als sie, werden sie nicht gehört, wenn sie nur vorsichtig anklopfen. Frauen zum Beispiel fühlen sich häufig ohnmächtig, wenn sie nach einem sexuellen Übergriff erst einmal beweisen müssen, dass sie nicht doch irgendwie übertreiben. Wenn ihnen ein grunzender Twitch-Streamer mit trauriger Halblatte hinterher gelaufen ist. Sie könnten ja erstmal versuchen, ob sich ihre Angst, ihr Ekel und ihre Scham nicht mit ein bisschen Humor und gutem Willen in Luft auflösen.

Also werden sie frustriert und klopfen irgendwann nicht mehr an, sondern hacken die Tür ein wie Jack Nicholson. Dann haben sie die Aufmerksamkeit. Und dann, hoffen sie, hört man ihnen vielleicht mal zu. Erst ein Mann, dann der nächste, dann der Bruder, dann der Chef und dann die Politik und vielleicht ändert sich am Ende etwas – so die Hoffnung.
Ich mag den Ausspruch „menaretrash“ nicht. Ich bin ein Mann, ja, buha. Doch ich würde ihn auch nicht mögen, wenn er eine Bevölkerungsgruppe beträfe, der ich nicht angehöre. Ich halte ihn in seiner Pauschalisierung für kontraproduktiv. Denn auch, wenn er nicht alle Männer meinen soll, tut er das nun mal. So funktionieren Semantik und Intersubjektivität. Sprache hat Bedeutung und Wirkung, die unabhängig sind von der Absicht des einzelnen Senders (womit auch MontanaBlacks Frauenbild ein sexistisches bleibt, egal wie er es angeblich meint).
Es gibt kein Slogan- oder Hashtag-Komitee, das sich auf ein gemeinsames Verständnis einer Botschaft einigt und im Zweifel einschreitet, um Missverständnisse zu verhindern. Online-Bewegungen, Shitstorms, Twitter-Trends – sie sind hoch dynamisch und für jeden und jede zugänglich. Natürlich gibt es viele Menschen, die „menaretrash“ wörtlich nehmen, so meinen, so denken und handeln. Ich bin ihnen begegnet, auch offline. War nicht so geil.
Ein Widerspruch – und nun?
Warum erzähle ich das? Weil sich darin auf den ersten Blick ein Widerspruch zeigt. Ich finde pauschale und feindselige Slogans nicht cool, erlaube es mir aber, schlecht über Gamer zu reden, alle Gamer. Und stehe auch nach längerer Überlegung noch dazu. Ich kann mir nicht zurechtbiegen, wie ich das meine. Und so meine ich auch, was ich sage, wenn ich sage: Gamer sind ein Problem.
Ich meine das, weil jede*r einzelne sich aussuchen kann, ob er oder sie ein Gamer sein will. Nicht jeder Mensch, der manchmal oder auch regelmäßig Spiele spielt, ist automatisch ein Gamer. „Gamer“ ist eine Selbstzuschreibung. Wer eine*r ist, bezeichnet sich selbst so, macht das Hobby zum wichtigen Teil seiner Identität. Und zwar nicht im Sinne einer sozialen Rolle, die sich mit anderen situativ abwechselt, sondern als ein übergeordnetes Bewusstsein. Ein Gamer kann Vater sein, Arbeiter, Freundin und Tochter – aber im Selbstverständnis ist er*sie jederzeit ein Gamer. Es ist diese Art von Bekenntnis, die einen mit dem Wort „Gamer“ wirklich nur diejenigen meinen lässt, die sich selbst auch so bezeichnen würden. Und die sind zum ganz großen Teil, so behaupte ich, entweder problematisch, oder versperren sich vor den Problemen.
Was nicht heißt, dass ich alle Menschen schlimm finde, die sich selbst als Gamer bezeichnen. Ich kenne ja gar nicht alle. Aber jede*r von ihnen lässt mindestens zu – das ist das Minimum. Und zwar ganz viel von dem, gegen das zum Beispiel Menschen, die #menaretrash verwenden, vorgehen wollen – und noch eine Menge mehr krudes Zeug.
Ein wesentlicher Teil der Incel-Bewegung besteht etwa aus Gamern. Gamer bestimmen die Meme-Kultur auf Imageboards, aus denen Phänomene wie Gamergate hervorgegangen sind – eine Bewegung rechtsextremer Verschwörungstheorien und Gewaltpropaganda. Es sind Gamer, die sich auf der Spieleplattform Steam in Nazigruppen tummeln und sich dort politisch radikalisieren. Es sind Gamer, die Mobs bilden, um Spielestudios zu canceln, die marginalisierten Menschen und ihren Problemen eine Plattform geben wollen. Es sind auch Gamer, die alle angreifen, die versuchen, das Gaming zu verändern. Und es sind andere Gamer, die bei all dem wegschauen und mit den Schultern zucken. Man wird nicht zum Nazi oder Frauenhasser, weil man Videospiele spielt. Man bringt statistisch betrachtet vielmehr mit hoher Wahrscheinlichkeit bestimmte Vorbedingungen dafür mit, menschenfeindliches und toxisches Verhalten zu zeigen, wenn man sich selbst als ein „richtiger Gamer“ ansieht. Man ist tendenziell weiß, männlich, heterosexuell, und oftmals ziemlich wütend.
Darf man nun?
Wer sich selbst dieses Label gibt, sich also der Gruppe der Gamer zuordnet, Gaming als globale Community begreift und sich damit auch von anderen Gruppen unterscheiden möchte – der kauft sich diesen ganzen Scheißdreck ein. Den Sexismus, die Xenophobie, die Rückwärtsgewandtheit, die militante Abwehr von Repräsentation Ausgegrenzter (vom kapitalistischen Irrsinn um die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Konsolenlager ganz zu schweigen). All das sind Gamer. Wenn du ein Gamer bist, dann passiert das in deiner Gruppe. Und wenn du all diesen Scheißdreck nicht magst, dann solltest du dich klar dagegen positionieren. Du kannst den Kuchen nicht essen und trotzdem behalten. Das Wort „Gamer“ ist dafür viel zu negativ aufgeladen.
Es gibt aus der Gruppe der Menschen, die sich selbst als Gamer bezeichnen, aber keine ernsthaften Bestrebungen, den Begriff zu annektieren, ihn anders zu besetzen. Es gibt Gaming-Fans, die gegen den Hass vorgehen – und deren Aktivismus ist richtig wertvoll. Nur in den Kreisen von Leuten, die ein dringender Teil dieses Aktivismus sein müssten, fällt das offensichtlich nicht auf fruchtbaren Boden. Es schmeckt ja auch irgendwie politisch, sich klar zu positionieren, und Gamer hören nicht gerne, dass Gaming politisch ist – da fallen schnell Türen zu.
Ich kann mir nicht aussuchen, ob ich bei #menaretrash mit gemeint bin, oder nicht – das bin ich wegen meines Geschlechts. Aber ich kann mich dafür oder dagegen entscheiden, ein Gamer zu sein. Und wenn du eine*r bist und die in diesem Artikel genannten Probleme anerkennst, wirst du dich sicherlich nicht angegriffen fühlen, wenn ich sage: Gamers are Trash. Wenn man das so sagen darf.
Erstmal meinen Kommentar löschen lassen, der passte doch super zum Text. Totaler bullshit. ;3
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Danke für den Artikel!
Habe mich lange Zeit schwer genug damit getan mich im Leben als „Gamer“ zu outen, weil damit oftmals genug Stereotypen und Klischees einhergingen. Die weite Verbreitung des Mediums sehe ich insofern als positiv, da es klassische Vorurteile immer weiter verwässert, und stimme eurem Kommentar absolut zu. Gamer liefern genau wie jede andere Gruppe (Schachspieler, Quizfans, Modellbauer, Briefmarkensammler?) einen Querschnitt unserer Gesellschaft. Da ist vom Menschen ganz links bis ganz rechts nahezu alles dabei. Und natürlich sind unter den Gamern auch Sexisten oder Rassisten. Persönlich fühle ich mich nicht gezwungen in den Verteidigungs-Modus zu gehen, nur weil sich andere Menschen kritisch mit meinem Hobby auseinander setzen.
Das muss man in einer Freiheitlichen Gesellschaft einfach aushalten. Genau so wie irgendwelche Menschen, die an Reptiloiden und die Bill Gates Verschwörung glauben. Ich muss es aber nicht hinnehmen, wenn Menschen eine Plattform wie das Gaming für ihre kruden politischen Ansichten missbrauchen und ziehe da für mich eine rote Linie, wenn sich Gamer radikalisieren. Das hat in unserem Hobby nichts zu suchen.
Vielen Dank und macht weiter so!
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Mich würde mal ernsthaft interessieren, wie hoch der Anteil an diesem kritisierten „Gamertyp“ in der Szene ist. Ist das ne kleine, laute Minderheit (<10%), ne signifikante Minderheit (20-50%) oder tatsächlich ein Großteil.
Noch interessanter wäre mal eine Aufschlüsselung nach Alter. Sind das eher die 12-18 jährigen, die da auffällig sind? Etc
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